5. Lernen Sie Ihre Mitarbeiter als Menschen kennen
Die beschriebenen Unterschiede in den Führungsstilen von Senior und Junior äußern sich auch in den Persönlichkeiten und Verhaltensweisen beider. Dazu sei ein fiktives Bild, wie es in ähnlicher Form oft von Interviewpartnern gezeichnet wurde, von Senior und Junior gegenübergestellt. Es erzählt eine Mitarbeiterin.
"Der Senior war alter Kriegsveteran. Nach dem Krieg hatte er das väterliche Unternehmen wieder aufgebaut. Mit strenger Hand und viel Disziplin konnte er schnell wieder an vergangene Erfolge anknüpfen. Im Laufe der Jahre hatte er sich hohen Respekt bei seinen Mitarbeitern erarbeitet. Jeden Morgen pflegte er durch die Firma zu gehen und alle persönlich zu begrüßen. Auch das Verhältnis zu den gewerblichen Mitarbeitern war gut. Er war bekannt als hilfsbereiter und fürsorglicher Chef. Kam einer seiner Leute unverschuldet in Schwierigkeiten, war schnelle und unbürokratische Hilfe gewiß. Jeder versuchte, sich gut mit ihm zu stellen.
Er war aber auch ein sehr impulsiver Mensch. Keine noch so kleine Entscheidung durfte ohne sein Kopfnicken gefällt werden. Dabei entschied er die Dinge, wie sie kamen. Planung sei nur für Chefs, die keinen Überblick über das Unternehmen haben, pflegte er zu sagen. Manchmal verlor er die Kontrolle, wenn etwas schief ging. Dann konnte er sehr laut und ungehalten werden. Danach war aber alles vorbei, und das Thema kam nie mehr hoch. Viele im Unternehmen hatten Angst vor diesen Wutausbrüchen. Widerspruch wagte keiner, besonders dann nicht, wenn eine Entscheidung einmal getroffen war."
Und hier die Beschreibung des Juniors, wie ihn die gleiche Mitarbeiterin sehen könnte.
"Der Junior hat Betriebswirtschaft und Ingenieurwesen studiert. Nach dem Studium arbeitete er in einem Konzern, wo er moderne Führungsmethoden erlebte. Er ist oft nicht erreichbar, weil er auf Geschäftsreisen oder in Besprechungen ist. Manchmal sehen wir ihn tagelang nicht. Zu den gewerblichen Mitarbeitern hat er so gut wie überhaupt keinen Draht. Dafür hat er sich einen jungen Betriebsleiter von der Uni geholt. Die Fürsorge um seine Leute hat er aber vom Vater übernommen.
Er ist sehr kollegial und pflegt einen lockeren Stil. Er gibt sich redlich Mühe, seine Mitarbeiter zu loben, ist aber unter dem Strich darin nicht viel besser als sein Vater. Die Mannschaft spricht über ihn mit dem Vornamen. Der "Chef", das ist irgendwie immer noch der Senior. Viele Mitarbeiter kennen ihn noch aus seiner Kindheit, so daß ihn besonders die leitenden Angestellten auch heute noch duzen.
In der täglichen Arbeit versucht der Junior, die Mitarbeiter stark einzubinden. Für die Preisgestaltung z.B. haben wir jetzt gemeinsam klare Regeln erarbeitet, und solange wir uns innerhalb dieses Rahmens bewegen, muß keiner mehr fragen. Er will lediglich informiert werden über die Ergebnisse unserer Arbeit. Das hat aber auch seine Nachteile. Ständig sitzt man in "Meetings", um Pläne und Projekte zu erarbeiten. Das soll die Eigenständigkeit fördern. Zum Arbeiten kommt hier aber keiner mehr. Man sitzt nur noch in Besprechungen." |
Diese Beobachtung ist übrigens unabhängig vom Alter und konstant über viele Jahre. Die beschriebenen Unterschiede treffen auf Unternehmen, in denen die Nachfolge vor 20 Jahren stattfand genauso zu, wie auf solche, die erst in den 90er Jahren einen Generationswechsel durchführten.
Ein wichtiger Hinweis, wie man einen dem Führungsstil angemessenen Umgang mit den Mitarbeitern erreicht, geht aus der Kritik des obigen Beispiels hervor, welche die Mitarbeiterin ihrem Junior-Chef gegenüber zum Ausdruck bringt. Durch die vielen Sitzungen und Reisen, so sagt sie, droht der persönliche Kontakt zu den Mitarbeitern abzubrechen. Waren die Senioren immer präsent und erreichbar, so gilt dies für viele Junioren heute nicht mehr. Ein weiteres Beispiel soll diesen Punkt verdeutlichen. Der Bericht stammt von einem Prokuristen, der noch die Anfänge des Unternehmens erlebt hatte.
"Der Senior war ein sehr umgänglicher Mensch, dem viel Respekt gezollt wurde. Er hatte aber auch exzellenten Kontakt zu seinen Mitarbeitern. In der Mittagspause wurde oft Skat gespielt, und am Wochenende fuhren wir zum Fußballspiel. Als leitende Angestellte hatten wir den Schlüssel zu seinem Weinkeller, in dem exzellente Flaschen lagerten. Da wurde abends oder am Wochenende öfter mal einer über den Durst getrunken.
Der Junior hat überhaupt keinen Draht für solche außerbetrieblichen Dinge. Er arbeitet viel und geht spät am Abend nach Hause. Den persönlichen Kontakt zu seinen Mitarbeitern und besonders zu seinen leitenden Angestellten konnte er nie richtig etablieren." |
Leider reicht es in der Regel auch nicht aus, ein Gläschen mit den Mitarbeitern zu trinken. Die Trennung zwischen Arbeitsplatz und Privatleben wird heute von den meisten jüngeren Mitarbeitern sehr strikt gesehen. In fast allen Unternehmen gingen die privaten Kontakte der Mitarbeiter untereinander deutlich zurück. Sieht der oben zitierte leitende Angestellte die guten alten Zeiten noch als Vorbild, so erleben dies jüngere Mitarbeiter heute ganz anders, wie einer berichtete.
"Unser Junior gibt sich wirklich Mühe, ein lockeres und herzliches Verhältnis in die Belegschaft zu kriegen. Leider ist das Interesse der Kollegen recht bescheiden. Früher, auf Altweiber z.B., kamen alle Frauen kostümiert in die Firma. Sie zogen durch die Gänge und schrieben Sprüche auf die Türen der Männer. Diese Tradition ist völlig eingeschlafen.
Im letzten Jahr hat unser Junior alle um 11:11 in die Kantine zu Sekt und Berlinern eingeladen. Aber irgendwie kam keine Stimmung auf. Die, die noch Karneval feiern, nehmen sich Urlaub. Alle anderen haben kein Verhältnis zu solchen lokalen Bräuchen. Das ist schade, liegt aber absolut nicht an unserem Chef." |
Mehrere Interviewpartner berichteten in der Untersuchung von dürftigen Teilnehmerquoten bei betrieblichen Veranstaltungen. Die jeweiligen Initiativen der Geschäftsleitung werden aber von den Mitarbeitern stets sehr positiv aufgenommen. In einigen Fällen konnte die Zahl der Teilnehmer auch wieder gesteigert werden. Dies gelang vor allem dann, wenn ein Team aus Mitarbeitern die Veranstaltung organisiert hatte und die Mitarbeiter mit den Arbeitsbedingungen zufrieden waren.
In diesem Kontext wurde den jungen Chefs verschiedentlich vorgeworfen, die Mitarbeiter eher als Arbeitsressource denn als Persönlichkeit anzusehen. Mindestens fünf Mitarbeiter äußerten diese Ansicht, ohne konkret darauf angesprochen worden zu sein. Hier offenbart sich ein Widerspruch. Auf der einen Seite werden die Junioren als deutlich zugänglicher, "weniger abgehoben" dargestellt als die Senioren. Auf der anderen Seite können sie aber den persönlichen Kontakt zu den Mitarbeitern nur mühsam herstellen. Der Grund ist sicherlich in der historischen Entwicklung des Unternehmens zu suchen. Hatte der Senior noch die Möglichkeit, alle Mitarbeiter selbst auszusuchen und sie einzustellen, übernimmt der Junior eine vorhandene Mannschaft. Diese ist sehr auf den Senior und seine Persönlichkeit ausgerichtet. Die zwischen den einzelnen Mitarbeitern und dem Senior über Jahre hinweg gesponnenen Fäden neu beim Junior anzuknüpfen, ist aufwendig und langwierig.
Unternehmen, bei denen der Generationswechsel mehr als 10 Jahre zurückliegt, scheinen von solchen Problemen deutlich weniger berührt. Offensichtlich kann es also über die Zeit durch Fluktuation (Aufbau einer eigenen Mannschaft) und ernsthaftes Bemühen gelingen, diesen Kontakt aufzubauen. Diese Entwicklung wird dadurch begünstigt, daß sich die Altersstruktur zwischen Junior und Belegschaft im Laufe der Zeit zugunsten des Juniors verschiebt. Ein gleichaltriger oder älterer Chef hat sicherlich weniger Akzeptanzprobleme, als ein verhältnismäßig junger Unternehmer.
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