3. Denken Sie daran: Jeder Mitarbeiter ist wertvoll
Das, was den jungen Unternehmern am meisten zu schaffen macht, ist die Umsetzung ihrer eigenen Führungsideale. Der bevorzugte Führungsstil junger Unternehmer unterscheidet sich – jedenfalls nach ihrer Selbsteinschätzung - deutlich von dem ihrer Vorgänger. Diese Selbsteinschätzung spiegelt sich in allen Fällen auch klar in den Aussagen der Mitarbeiter wider.
Fast alle Senior-Unternehmer werden als patriarchalisch beschrieben. Die Junior-Unternehmer erhalten demgegenüber alle das Merkmal kooperativ oder gar demokratisch.
Ursache für diese sicherlich nicht ganz überraschende Erkenntnis dürften vor allem zwei Tatsachen sein: - Aufgewachsen in einem liberaleren Erziehungsumfeld als ihre Väter, haben die Junior-Unternehmer ein vielfach anderes Menschenbild. Standen in der Nachkriegsgeneration Tugenden wie Pflichterfüllung, Dienen und Unterordnung im Vordergrund, werden diese Werte heute eher durch Freiheit, Selbstentfaltung und Eigenverantwortung ersetzt. Die Umsetzung dieses Gedankenguts führt zu einer anderen Führungsmentalität.
- Ein Junior, der neu in das Unternehmen eintritt, hat zwangsweise erhebliche Wissensdefizite. Konnte sein Vorgänger auf 30 Jahre Erfahrung zurückblicken und hatte er über nahezu alle bestehenden Details irgendwann einmal selber entschieden, fehlen dem Junior die Einblicke in viele Details. Dies kann eine noch so gute Ausbildung nicht kompensieren. Er ist also unweigerlich auf die Meinungen und Erfahrungen seiner Mitarbeiter angewiesen. Sie bilden die Brücke zum verlorengegangenen Know-how des Seniors.
Der zweite Punkt erklärt auch, warum selbst Unternehmensübergaben, die vor über 20 Jahren stattgefunden haben, zu einer erheblichen Änderung des Führungsstils im Unternehmen führten.
Hinter diesem deutlichen Ergebnis der Interviews steht für die Junior-Unternehmer die Frage, wie man Mitarbeiter, die lange unter dem Senior gearbeitet haben, an einen neuen, kooperativen Führungsstil gewöhnt. Viele Junior-Unternehmer tun sich sehr schwer, ihre Führungsideale im Unternehmen umzusetzen. Anstatt die neugewonnene Selbständigkeit dankend aufzunehmen, so beklagen sie sich, werden viele Mitarbeiter zu Bedenkenträgern und scheuen sich, Entscheidungen zu treffen, ohne daß ein Vorgesetzter sie abgesegnet hat.
Nur wenige hatten eine klare Antwort darauf. Die überzeugendste Darstellung liefert das folgende Beispiel dar.
Nachdem der Senior das Unternehmen verlassen hatte, verblieb eine Führungsriege, die zum großen Teil über 20 Jahre Befehlsempfänger gewesen war. Der Junior begann einen dreistufigen Prozeß mit dem Ziel, einerseits das Know-how zu behalten, das in den Köpfen dieser Mitarbeiter steckte, andererseits aber von seiner Person unabhängig funktionierende Strukturen zu schaffen:
- Im ersten Schritt stellte er eine Soll-Organisation auf, in dem der Aufbau des Unternehmens und der Personalbedarf festgelegt wurden.
- Dann begann eine Phase der intensiven Beschäftigung mit den Mitarbeitern. Er führte lange Gespräche mit jedem einzelnen und forderte sie auf, etwa nach Kundenbesuchen, eigene Vorschläge zu erarbeiten. Seine Beobachtungen mündeten in einem Workshop an einem langen Wochenende, der von einem Psychologen moderiert wurde. Er versuchte, die Leute für die neue Aufgabe zu sensibilisieren und erstellte eine aufgabenunabhängige Stärken-Schwächen-Analyse für jeden Mitarbeiter mit Führungsverantwortung.
- Im letzten Schritt wurde für jeden Mitarbeiter eine Aufgabe in der Soll-Struktur gesucht, die seinem persönlichen Profil und seinen Erfahrungen entsprach. Dabei wurden auch außergewöhnliche Wege eingeschlagen. Für den ehemaligen Vertriebschef wurde beispielsweise eine Stabsstelle geschaffen, die für das Coaching und die Ausbildung der jungen Vertriebsleute verantwortlich war. Für den ehemaligen Marketingleiter wurde ein Karriereplan in der neu geschaffenen Werbeabteilung mit eigenem Rentenplan erstellt. Keiner der Mitarbeiter stellte sich finanziell schlechter.
Begleitet wurde der gesamte Prozeß durch intensive Kommunikation und Offenheit mit jedem einzelnen. So konnte das Gros der Mannschaft für das Konzept gewonnen werden. Leider konnten nicht alle Mitarbeiter zufrieden gestellt werden. Der ehemalige Vertriebschef konnte mit seiner Entmachtung nicht leben und verließ das Unternehmen. Da jeder begriffen hatte, daß er seine Chance hat, führten solche Entwicklungen aber nicht zu allgemeiner Unruhe. |
Das hier beschriebene Verfahren ist sicherlich sehr aufwendig. Die Vorteile sind aber nicht von der Hand zu weisen, wenn dadurch Know-how und Ruhe im Unternehmen erhalten bleiben können. Wichtig ist die individuelle Gestaltung des Prozesses. Jeder muß ernst genommen werden und dies auch erkennen. In jedem Fall sollte man sich als Junior von der Vorstellung lösen, die langgedienten Mitarbeiter seien dankbar für die neu gewonnenen Freiheiten. Diese Freiheiten gehen nämlich einher mit:
- der Verpflichtung zur Übernahme von Verantwortung;
- der Einschränkung von Macht gegenüber untergebenen Mitarbeitern, die ihrerseits nun einbezogen und selbständig werden sollen.
Zwar waren in der Befragung auch Unternehmen anzutreffen, in denen sich trotz eines kooperativen Führungsstils des Chefs einzelne Fürstentümer innerhalb der Organisation erhalten hatten. Dem Ziel dienlich ist dies aber nicht. Es sollte daher der Versuch unternommen werden, Mitarbeiter den neuen Stil lernen zu lassen. Einige wenige Unternehmer berichteten, sie hätten ein eigenes kleines Schulungszentrum aufgebaut. Neben Kunden- und EDV-Schulungen werden diese Lernstätten intensiv zur Führungsschulung benutzt, wie folgendes Beispiel zeigt.
Als durch Umstrukturierungen ein altes Gebäude ein Stück außerhalb des Betriebsgeländes frei wurde, entstand die Idee, das entwickelte Weiterbildungsprogramm durchzuführen. Mit eigenen und fremden Trainern werden intensive Schulungen für Kunden und Mitarbeiter abgehalten. Ein großer Teil der Finanzierung läuft über die Abrechnung von Kundenseminaren und die Vermietung der Räumlichkeiten an andere Unternehmen.
Ein Schwerpunkt des Curriculums ist die Vermittlung von Führungstechniken. Je nach Hierarchiestufe lernen die Mitarbeiter in zwei- bis fünftägigen Seminaren die gewünschten Führungsprinzipien des Unternehmens. Auf dem Lehrplan stehen Prinzipien des Zusammenarbeitens, wie man lobt und was die Firma unter selbständigem Arbeiten versteht. Dabei ist wichtig, daß nicht nur Vorgesetzte die Spielregeln lernen, sondern auch die Mitarbeiter. Sie werden angehalten, die Einhaltung der Führungsprinzipien einzufordern. |
Leider geben sich nicht alle Unternehmer so viel Mühe, wie dies in den beiden Beispielen dargestellt wurde. Die, die es tun berichten sehr positiv von den Ergebnissen. Da werden altgediente Mitarbeiter zu wertvollen Tutoren für Nachwuchskräfte oder passen sich erfolgreicher an die neuen Gegebenheiten an, als zunächst erwartet.
Für viele Junior-Unternehmer lautet die Antwort oft recht schnell Entlassungen. Dies schafft zwar die Möglichkeit, neue Leute, die der eigenen Mentalität zu entsprechen scheinen, einzustellen. Die Demotivation und Unruhe bei den Verbleibenden, wenn langgediente Mitarbeiter entlassen werden, sollte aber nicht unterschätzt werden. Zusätzlich ist in aller Regel ein erheblicher Know-how-Verlust für das Unternehmen zu verkraften. Daraus kann ein weiteres Problem resultieren, daß weithin unterschätzt und im folgenden Abschnitt behandelt wird.
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